Über einen Schuhmacher, der Gedichte schrieb

Autorin: Agata Wons-Wiecha

Ausgangspunkt dieses Beitrags war der 100. Geburtstags meines Urgroßvaters – Konstantin Matziol – vor zwei Jahren. Ich begann mich, mit seinem Leben intensiver zu beschäftigen. Dieser scheinbar einfache und schlichte Schuhmacher erwies sich bei näheren Betrachtung als höchst interessanter Mensch mit faszinierender Persönlichkeit. Er war fortschrittlich, blieb seinen Werten (auch in schweren Zeiten) treu und zugleich steckte in ihm ein empfindsamer Lyriker und Literaturliebhaber.

Konstantin Matziol wurde am 18. Februar 1905 in Zwoos bei Guttentag geboren. Seine Eltern, Michael Matziol und Maria geborene Brzezina, hatten in Zwoos bei Guttentag eine kleine Landwirtschaft. Die Familie war kinderreich. Von den dreizehn Kindern überlebten nur fünf. Sein Vater übte in den Jahren 1882-1914 das Amt des Gemeindevorstehers in Zwoos aus. Sein langjähriges und verdienstvolles Engagement für die Gemeinde ließ ihm nur wenig Zeit für seine Kinder, die er streng erzog. 1914 verkaufte die Familie Matziol ihren Bauernhof und zog nach Guttentag um. Bald darauf starb Michael Matziol.

Der junge Konstantin besuchte die katholische Grundschule in Guttentag, die er 1918 beendete. Der Sohn, der seit nunmehr vier Jahren verwitweten Mutter war ein begabter und fleißiger Schüler, doch der Weg zur höheren Bildung, den er so gern eingeschlagen hätte, blieb ihm aus finanziellen Gründen verschlossen. Um zum Lebensunterhalt der Familie beizutragen, musste Konstantin schnell einen Beruf erlernen. Im Februar 1919 begann er mit einer Schumacherlehre in der Schuhwaren- und Lederhandlung von Albert Adamski in Guttentag, in der er anschließend noch bis zum 31. Juli 1924 in der Schäftemacherei - Abteilung tätig war. Konstantin verließ diese Stelle auf eigenen Wunsch und als Neunzehnjähriger ging er 1925 nach Rosswein in Sachsen, einem aufstrebenden Industriestandort, wo u. a. Schuhfabriken angesiedelt waren. Dort lernte er drei Jahre in der Schuh- und Schäftefabrik Otto Pötsch&Co. die Schäftemacherei. In dieser kleinen Stadt zwischen Dresden und Leipzig verbrachte Konstantin seine ihn prägenden Jugendjahre. Gerade dort begann sein Abenteuer mit der Poesie. Aus dieser Zeit stammt das Manuskript „Aus der Jugendzeit. Erinnerungen für die nachdenkenden Stunden“, das einige Dutzend in der Art der deutschen Romantiker geschriebene Gedichte enthält. Manche dieser Gedichte widmete er Anette Fröhlich, seiner großen Liebe, die er in Rosswein kennenlernte.

1929 kam Konstantin Matziol nach Guttentag zurück. Im Arbeitszeugnis von 5. Januar 1929 werden ihm Fleiß, Ehrlichkeit, gutes Betragen bescheinigt und beste Empfehlungen an jeden Arbeitgeber mitgegeben. Am 8. Juli 1929 heiratete er Maria Otrzonsek. Seiner „lieben Braut Maria“ schenkte er ein Bändchen mit ausgewählten Gedichten aus der Rossweiner Zeit. Das junge Ehepaar zog bald nach Zembowitz im Kreis Rosenberg, wo Konstantin seine eigene Schuhmacherei eröffnete. Er reparierte nicht nur, sondern fertigte auch neue Schuhe und Stiefel nach Maß an. Das notwendige Material, Werkzeuge und Maschinen bestellte er auch bei ausländischen Fachhändlern oder Herstellern. Ständig modernisierte er seinen Arbeitsplatz und interessierte sich für technische Neuerungen. Seine modern ausgestattete Werkstatt wurde sogar im „Rosenberger Heimatkalender“ beschrieben. Viele Jahre abonnierte Konstantin die in Berlin herausgegebene Fachzeitschrift „Die Schuhreparatur“.

In seiner Freizeit schrieb er Gedichte, las sehr viel und sammelte Bücher. Bis heute blieb seine reiche Büchersammlung erhalten.

In der zweiten Hälfte der 30er Jahre verstärkte sich in Deutschland der Druck, alle Lebensbereiche dem nationalsozialistischen Regime zu unterwerfen. Nationalistische Tendenzen kamen auf. In Oberschlesien wurden zahlreiche Ortsnamen umbenannt, so hieß Zembowitz jetzt Föhrendorf. Viele Familien wurden gezwungen, ihren Namen zu ändern. Die Familie Matziol wurde in Metzner umbenannt. Konstantin war mit der „neuen Ideologie“ nicht einverstanden. Im August 1940 wurde Konstantin Matziol denunziert, dass er verbotene Rundfunksender höre und sich kritisch über die Regierung äußere. Nachdem einer seiner Gesellen diese Vorwürfe bestätigte, brachte man Konstantin auf die Gestapowache nach Rosenberg. Was mit ihm in dieser Zeit geschah, blieb ein Geheimnis. Nach einer Woche erhielt die Familie seinen Leichnam zurück. Der verschlossene Sarg durfte nicht geöffnet werden. Die Sterbeurkunde gibt als den Todestag den 8. September an. Nach seinem Tod übernahm die Ehefrau Maria die Werkstatt und führte sie bis Ende 1944.

Konstantins Lyrik beeinflussten die deutschen Romantiker, vor allem die Poesie Joseph von Eichendorffs. Seine Gedichte, die er im Band “Aus der Jugendzeit” zusammenfasste, stehen deutlich in dieser Tradition. Seine Poesie zeichnet sich durch eine volksliedhafte Schlichtheit aus, in der Natureindrücke seelisch wiedergespiegelt werden. Die Sprache erfasst mit ihren Bildern die typischen romantischen Motive: Liebe und Sehnsucht, Frömmigkeit und Tod, Nacht, Verzauberung und Fernweh. Das beherrschende Thema ist die Natur: die Schönheit der Landschaften und der Heimat, das Wandern und die Sehnsucht nach der Ferne. Die stimmungsvollen Landschaftsbeschreibungen geben jedoch keine oberflächliche Schilderung der Natur wieder. Sie verbergen einen tieferen Sinn. Die Naturmotive verband er immer auch mit bedrohlichen Themen wie Abschied und Tod. Sein Stil ist gekennzeichnet durch einfache Formen. Seine bewusst schlicht gehaltenen Gedichte sind Ausdruck einer Empfindungsvielfalt.

Seine Poesie wurde niemals herausgegeben.

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